Sensibilisierung der Lehrkräfte

Viele SuS, auch Deutsch-Muttersprachler, haben Schwierigkeiten mit der Fach- und Bildungssprache, da ihre Alltagssprache häufig stark von der mündlichen, aber auch schriftlichen Sprache im Unterricht abweicht. Die Alltagssprache „verzeiht" Fehler (z. B. im Satzbau, s. Abb. 1), die Fach- und Bildungssprache hingegen nicht oder nur bedingt.

Die Fach- und Bildungssprache geht über das Erlernen der Alltagsprache hinaus und fordert von den SuS insbesondere im schriftsprachlichen Bereich fundierte Kenntnisse. Sie ist die Grundlage der Lehrbücher, Klausuren und Abschlussprüfungen (u. a. der Industrie- und Handelskammer sowie Handwerkskammer) und ihr Verständnis somit essentiell, um schulische und berufliche Ziele erreichen zu können.

Die Alltagssprache unserer Lernenden bedient sich zum Teil umgangssprachlicher Begriffe, wie z. B. posten, snappen, googeln, plaudern und steht der Fach- und Bildungssprache somit kontrastierend gegenüber. Erläutern, modellieren, protokollieren, argumentieren (entsprechen z. B. den Operatoren der (Abschluss-) Prüfungen) sind nur einige Beispiele, mit denen die Lernenden im schulischen Kontext „arbeiten“ müssen. Der Spagat zwischen Alltags- und Fach- bzw. Bildungssprache stellt nicht nur sprachschwache Lernende in Teilzeitschulformen (Lernende nicht deutscher Herkunftssprache, mit Migrationshintergrund, mit niedrigem Bildungsstand, geringer fachlicher Bildungssprache, Lernschwächen und Lernschwierigkeiten) vor zum Teil unüberwindbare sprachliche Hürden, sondern kann ebenfalls SuS der Vollzeitschulformen betreffen. Sprachsensibles Agieren hat eine große Bedeutung für jede Lehrkraft.


Sprachsensibles Handeln

Um für die Lernenden diese Hürden überwindbar zu machen, können wir für sie als Lehrkraft bei der Sprachförderung zielführend Unterstützung leisten (Abb.: Die sprachsensible Lehrkraft).

Was hilft uns, sprachsensibel zu handeln? – Es kann sinnvoll sein, die unterschiedlichen Sprachniveaus der SuS bewusst wahrzunehmen und bedürfnisorientierte Unterstützungsangebote zu generieren, z. B. durch differenzierte Aufgabenformate (dem Sprachniveau angepasste Texte: Umschreiben der Texte (verschiedene Niveaustufen), Worterläuterungen in der Fußnote, erklärende Bilder und Grafiken), durch differenzierte Zugänge (z. B. auditive Medien (Hörbücher, Texte selbst einsprechen, Erklärvideos).

Auch kulturelle Unterschiede und/oder eine andere Mutter- und Familiensprache können ein Anhaltspunkt für einen möglichen sprachlichen Unterstützungsbedarf sein. Diese sollten erkannt und bestmöglich Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, indem man bspw. die Erwartungen reduziert, das Lerntempo und die Lerndichte minimiert oder die Muttersprache im Lernprozess zulässt. Denn als (sprachsensibilisierte/r) LuL handeln wir bedacht und zeigen Verständnis für die Lebenswelten, wahrzunehmenden „besonderen“ Aufgaben und Schwierigkeiten unserer SuS. Es kann hilfreich sein, sich regelmäßig mit den Klassenleitungen, erfahrenen Kollegen, Sozialpädagogen/-pädagoginnen und ggf. Bezugsbetreuer/in der SuS auszutauschen, um die jeweiligen Lebensumstände besser erfassen und ein Bewusstsein für die eigenen Lernenden erzeugen zu können.

Fehler im Satzbau | Abbildung 1

Insbesondere Lernende nicht deutscher Herkunftssprache sind oftmals mit uns nicht bekannten Alltagsituationen konfrontiert, wie das Wahrnehmen außerschulischer Termine, z. B. mit der Ausländerbehörde (möglicherweise aufgrund einer drohenden Abschiebung), mit dem Jobcenter, der Agentur für Arbeit, dem Sozialamt, dem Jugendamt, Gerichten oder Anwälten. Auch während des Unterrichts können sich Schüler nicht deutscher Herkunftssprache mit persönlichen und emotionalen Nachrichten konfrontiert sehen, die z. B. das Wohl der Familie im Heimatland betreffen (u. a. Anrufe aus dem Heimatland, Nachrichten über eine veränderte Situation im Heimatland/mit der Familie (z. B. Angriffe, Krieg, Todesfälle etc.). Diese oder ähnliche besondere Situationen fordern Verständnis seitens der Lehrkraft und ein Feingefühl im Umgang mit dem Schüler/der Schülerin, aber auch mit den Klassenkameraden des betreffenden Lernenden.


Wie kann ich als Lehrkraft noch besser sprachsensibel agieren?

Um sich als Lehrkraft noch besser für das Thema Sprachförderung zu sensibilisieren, kann eine Weiterbildung in Form unterschiedlicher Fortbildungsangebote zielführend sein. Die Lehrkräfteakademie bietet ein breites Spektrum an Fortbildungen zur Sprachförderung. Interessante und artverwandte Themenbereiche sind bspw.: Sprachsensibilisierung, Sprachsensibler Fachunterricht, Interkulturelle Kommunikation, Heterogenität, Anti-Radikalisierung, etc.

Fortbildungsangebot der Lehrkräfteakademie: https://akkreditierung.hessen.de/catalog

Für eine erste Sensibilisierung in der Klasse, aber auch im Kollegium, z. B. im Rahmen von Gesamtkonferenzen, Fachbereichskonferenzen etc. kann ein gemeinsames Einfühlen in die Situation der Lernenden, die mit sprachlichen Hürden zu kämpfen haben, sinnvoll sein.

Dafür bietet sich u. a die abgewandelte Aufgabenstellung zum physikalischen Kerzenversuch an, die im Folgenden erläutert wird (Abb.: Kerzenversuch):

Eine weitere Möglichkeit für eine gemeinsame Sensibilisierung in der Klasse und / oder im Kollegium kann das interkulturelle Simulationsspiel „Bafa-Bafa“ sein. Das „Bafa-Bafa“- Spiel zählt zu den erfahrungsorientierten Methoden im Rahmen von interkulturellen Trainings und hat u. a. die Ziele, ein Verständnis über die eigene und fremde Kultur zu entwickeln sowie einen Umgang mit der anderen Kultur zu üben.

Während des Spiels treffen zwei Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Regeln aufeinander und versuchen miteinander in Kontakt zu treten. In dieser Simulation erleben die Spielerinnen und Spieler im Sinne einer Selbsterfahrung, wie es sich anfühlt, auf eine andere Kultur zu treffen und zu welchen Missverständnissen das Aufeinandertreffen führen kann. Das Ziel dieses Simulationsspiels ist, die kulturellen Regeln des anderen Teams zu verstehen und erklären zu können.